All You Need Is Liverpool


Über die Jahre hinweg habe ich immer mal wieder über Liverpool, und natürlich auch über das Liverpool der Beatles geschrieben. Hier eine Reportage aus der Berliner Zeitung von 2009 – nach all den Jahren hatte ich vergessen, wie stark die Redaktion den Text bearbeitet hatte. Ihr bekommt also mit diesem Post zwei Artikel – hier folgt mein Originaltext:

Bei ihrem letzten Konzert am 30. Januar 1969 standen sie auf dem Dach ihres eigenen Studiogebäudes, hoch über der englischen Hauptstadt. Beim ersten – und vielen weiteren – drängten sie sich in einem feuchten Keller, dessen Decke sie zuvor selbst gestrichen hatten. Die Mutter von Pete Best, dem ersten Drummer der Ur-Beatles-Formation The Quarrymen, hatte die Idee gehabt, in ihrem Haus einen Coffee-Club mit Live-Musik zu eröffnen. Und was Mo Best wollte, realisierte sie auch. Erzählt Rory Best, Petes Bruder, der seit 2005 Fans durch die Gewölbe des »Casbah Coffee Club« im Liverpooler Vorort West Derby führt und mit Anekdoten aus jener wilden Zeit begeistert.

Down to earth wie die hafenarbeiter

Liverpool und die Beatles. Das gehört zusammen wie Memphis und Elvis, der kalifornische Strand und die Beach Boys. Wenngleich die Fab Four bereits mit Anfang 20 die nordenglische Hafenstadt endgültig verließen: In ihrem Wesen, vor allem in ihrem Humor, blieben sie Liverpudlians. Und die Herkunft aus einer Stadt, deren Glanz in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts sehr verblasst war, half ihnen, auf dem Teppich zu bleiben. Down to earth wie die Hafenarbeiter und Seeleute, die Liverpool prägten. Wie die Auswanderer aus ganz Europa, die auf dem Weg in die Neue Welt am Mersey hängen blieben und deren Sprachen eingingen in jenen schwer verständlichen Dialekt, den man »Scouse« nennt – Labskaus – wie der Arme-Leute-Eintopf.

World capital of pop

Deep down under the earth, tief unter der Erde, liegt nicht nur der »Casbah«, sondern auch der bekanntere »Cavern Club« in der Liverpooler Mathew Street – einer Amüsiermeile, die ihresgleichen sucht. Mitnichten nur Touristen, auch viele Einheimische ziehen dort am Wochenende von Pub zu Club, trinken, tanzen, und lauschen der noch immer bemerkenswerten Livemusik. Zwar treten im »Cavern« etliche Beatles-Nachahmer auf, es gibt jedoch auch zahlreiche junge Bands, die ihren eigenen Weg suchen und finden. Am Anfang der Mathew Street hängt eine Tafel des Guiness’ Buch der Rekorde mit dem Ehrentitel »World Capital of Pop«. Darunter die imponierende Auflistung der 56 von Liverpooler Künstlern stammen Hitsingles: Von Lita Rozas »How much is that doggie in the window« von 1953 bis zu Atomic Kittens »The Tide is High« von 2006. Aus keiner anderen Stadt kamen jemals so viele Musiker mit Nummer-Eins-Hits.

mathew street

In den Anfangszeiten der Beatles war der »Cavern« ein Jazz-Club, und auf der Mathew Street standen noch Lagerhäuser für den nahen Obstmarkt. Zwei Kneipen gab es, beide haben noch heute geöffnet: Das lärmige »Grapes« sowie ein wenig versteckt um die Ecke der »White Star« – eine Fundgrube für Beatles-Fans mit Originalzeichnungen von John Lennon, dem Vertrag mit dem allerersten, deutschen Produzenten Bert Kaempfert und einem Brief von Alan Williams, ihrem damaligen Manager, der vor Ort sein »Büro« hatte, und sich bedankte, dass »seine Jungs« im »White Star« in Ruhe trinken konnten.

Eleanor rigby

Wer auf seinem Weg von der Mathew Street in das zweite nächtliche Ausgehviertel im Südosten der Innenstadt einen kleinen Schlenker macht, der sieht in der Stanley Street eine einsame kleine Frau auf einer Bank sitzen: Eleanor Rigby teilt ihre Unsterblichkeit mit einem Spatz – und häufig genug mit Touristen, die sich zu ihr gesellen.

Jac, phil, ye cracke

Im »Jacaranda« in der Slater Street probten die Beatles – ebenso wie im »Casbah« bei Kaffee und Cola. Im Keller gibt es noch Wandgemälde von Stu Sutcliffe, dem früh verstorbenen ersten Bassisten der Band, zu sehen.

Die stilvollste Möglichkeit, in Liverpool ein Bier zu trinken, ist der prunkvolle »Philharmonic Pub« im Uni-Viertel, wiederholt als schönster Pub Englands ausgezeichnet. Als John Lennon gefragt wurde, was er in seinem Star-Dasein am meisten vermisse, lautete die Anwort: In Ruhe ein Pint im »Phil« zu nehmen.

In seine andere Lieblingskneipe durfte er damals nicht mehr hinein: Die Wirtin des »Ye Cracke«, um die Ecke und damit auf halbem Weg zwischen dem »Phil« und Lennons Studentenbude in der Gambier Terrace gelegen, hatte ihm nach einem allzu ausgelassenen Abend Hausverbot verpasst – das sie nie aufhob.

college of art und lipa

Während Lennon – und Stu Sutcliffe sowie Cynthia Powell, spätere Lennon – auf das College of Art gingen, besuchten Paul McCartney und George Harrison die daneben liegende renommierte High School. 1996 eröffnete McCartney in dem Gebäude das »Liverpool Institute for Performing Arts«. Die multikulturelle Studentenschaft dieser Pop-Uni beschert der Stadt seitdem viele frische Kultur-Produktionen.

the beatles story

Der Hafen war das Aushängeschild des reichen Liverpools vergangener Zeiten. Heute beherbergt das restaurierte Albert Dock das Museum »The Beatles Story«, wo die Geschichte der Pilzköpfe stimmungsvoll und umfassend wiedergegeben wird. Nördlich davon geben die riesigen Gebäude einer Reederei, der Hafenbehörde sowie des Royal Liver Buildings – von den Einwohnern »Die drei Grazien« genannt – eine imposante Skyline ab. Am besten lässt sich diese von einer der Fähren nach Birkenhead einer »ferry across the Mersey«, um andere berühmte Liverpooler Musiker zu zitieren, bestaunen. In Birkenhead stand das Elternhaus Cynthia Powells.

zurück in die kindheit

Die weit im Osten Liverpools gelegenen Familienhäuser McCartneys und Lennons gehören heute dem National Trust, der britischen Denkmalschutzbehörde. Bei Führungen sieht die überraschend gutsituierten Verhältnisse, in denen John aufwuchs, kann die Männerwirtschaft bei Paul nachvollziehen, und wer zu Strawberry Fields, dem Gelände des ehemaligen Waisenhauses, oder der Penny Lane-Kreuzung läuft, dem gelingt es vielleicht, sich in jene halbwüchsigen Jungs hineinzuversetzen, die ihr Liverpool unsterblich machten …


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