Interview Patti Smith


An dieser Stelle gibt es sonst an jedem ersten Dienstag des Monats einen Reisebeitrag, in den allermeisten Fällen über Liverpool und Umgebung. Nachdem ich jedoch im vergangenen Monat in meiner Eigenschaft als Kulturjournalistin die Gelegenheit hatte, ein großes Interview mit Patti Smith zu führen, will ich euch dieses nicht vorenthalten. Ursprünglich erschienen ist es in den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 15. Juli 2025; auf der Homepage der Zeitung ist es ebenfalls noch abrufbar. Die Fotos sind mir netterweise von der wunderbaren Fotografin Anja Schneider zur Verfügung gestellt worden, die bei Smiths Dresdner Konzert am 17. Juli 2025 in der Jungen Garde fotografierte. Weitere Arbeiten von Schneider könnt ihr auf ihrem Instagram-Account bestaunen. Hier nun also das komplette Interview:

»Mein Rat an alle Menschen: Haltet zusammen!«

Patti Smith ist eine der einflussreichsten Musikerinnen in der Geschichte der populären Musik. Sie hat Generationen junger Musikschaffender beeinflusst. Ihr Debüt-Album Horses findet sich bis heute auf den Listen der besten Alben aller Zeiten, der einflussreichsten Alben aller Zeiten, der wichtigsten Alben aller Zeiten. Ihre erste veröffentlichte Autobiografie Just Kids über ihre Freundschaft mit dem Fotografen Robert Mapplethorpe und beider Anfänge im New York der frühen 1970er gilt ebenfalls als Meisterwerk. Sie engagiert sich als Fotografin, im Theater und für demokratische Bewegungen auf der ganzen Welt. Am 17. Juli ist sie in Dresden wieder zu einem Konzert zu Gast.
Smith gibt extrem selten Interviews. Dieses hier mit Beate Baum war eines von nur drei in ganz Deutschland zur aktuellen Tour. Dabei zeigte sie sich als ein Mensch ohne jegliche Starallüren, der mit der Autorin ein lebhaftes Gespräch nicht nur über das kommende Konzert, sondern auch über ihre Vergangenheit, den
Zustand der Welt und die Notwendigkeit, etwas zu tun, führte.

Beate Baum: Hallo, Patti Smith. Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit, mit Ihnen zu sprechen. Und ich muss das Gespräch mit einem persönlichen Satz beginnen: Ich höre Ihre Musik bereits sehr, sehr lange, und sie hat mir als junge Frau in den 80ern geholfen, meine eigene Stärke zu finden und meinen Weg zu gehen. Aber so etwas hören Sie bestimmt oft ...«

Patti Smith: Oh, ich bin immer überrascht, wenn Menschen das sagen, und geschmeichelt. Aber ich sage immer ehrlich: Ich freue mich, wenn ich Sie inspiriert habe und Ihnen ein wenig Mut gemacht habe, wenn meine Arbeit so etwas wie ein Leuchtfeuer war. Aber ich bin mir sicher, Sie hätten auch so Ihren Weg gefunden. Es ist ihr eigenes Verdienst.
Sie rufen aus Dresden an, ist das richtig?

Baum: Ja, das ist richtig.

Smith: Also, ich bin sehr aufgeregt, dass wir wieder nach Dresden kommen. Ich liebe Dresden. Wir haben immer tolle Konzerte dort. Ich kann es kaum erwarten.

Beate Baum: Ich denke, das geht vielen Menschen hier ähnlich, und sie fiebern dem Abend entgegen. Was dürfen wir von dem Konzert erwarten?
Patti Smith, Junge Garde, Dresden, 17.7.2025. Foto: Anja Schneider
Smith: Wir werden Songs spielen, die bekannt sind, die die Menschen mögen, und dann haben wir eine Menge neuer Songs.

Baum: Wirklich? Das ist großartig!

Smith: Ja, wir haben einige neue Cover-Songs, die noch niemand gehört hat. Ich singe sehr gern die Stücke anderer Leute, von Bob Dylan, Lana Del Ray und verschiedenen anderen. Und einige andere Songs sind so etwas wie Improvisationen mit Lyrik. Und dann werden wir Stücke spielen, die ich lange nicht gespielt habe, von denen ich aber denke, das sie in diese schwierigen Zeiten passen. Aber eben auch Songs, die die Menschen mögen, populäre Songs. Ich denke, gerade jetzt, wo es so viele Probleme in der Welt gibt, ist es wichtig, einerseits zu zeigen, dass wir uns dessen bewusst sind und uns kümmern, aber auch, uns lebendig zu fühlen und Spaß zu haben. Ich möchte, dass diese Konzerte Veranstaltungen sind, wo die Menschen glücklich sind.

Baum: Improvisationen zu Lyrik – das führt zurück zu Ihren Anfängen in New York, bevor 1975 – also vor 50 Jahren – das legendäre Album Horses herauskam.

Smith: Ja, ich war eine Dichterin lange bevor ich eine Musikerin wurde.
Die Entstehung von Horses
Baum: Ist das Horses-Jubiläum Anlass der Tour?

Smith: Nein, dazu wird es ein paar kleinere Konzerte im Herbst geben, das Album kam ja im November heraus. Nun werden wir wohl auch ein paar Horses-Titel spielen, aber es wird kein »Horses«-Konzert.

Baum: Um trotzdem eine Frage zu diesem epochemachenden Album zu stellen: Wussten Sie damals, als Sie im Electric Ladyland Studio die Songs einspielten, dass da etwas Besonderes entstand?

Smith: Ehrlich gesagt, nein. Vielleicht habe ich mir vorgestellt, dass es Menschen in bestimmten Zirkeln mögen. Niemals hätte ich erwartet, dass die Resonanz so lange anhält. Ich meine, mein junges Ich hätte sich nie träumen lassen, dass wir 50 Jahre später dieses Gespräch führen. Wir waren jung. Ich hatte niemals zuvor eine Platte gemacht. Die Stücke basierten auf Lyrik. Ich war ja eigentlich eine Dichterin, keine Sängerin. Also versuchte ich in der Art weiterzumachen, in der Künstler vor mir wie Jim Morrison und Jimi Hendrix eine künstlerische Stimme entwickelt hatten: Lyrik und Rock’n Roll miteinander zu verschmelzen. Aber ich wollte auch Räume öffnen für neue, junge Bands, die nicht viel Geld hatten oder nicht glamourös waren, aber neue Ideen hatten, mit Leuten, die an den Rand gedrängt wurden - aufgrund ihrer sexuellen Überzeugung oder ihrer Hautfarbe. Die Intention war, die Entrechteten zu erreichen und diejenigen, die Gedichte lieben.

Baum: Sie waren damals auch als Frau im Musikgeschäft eine Ausnahmeerscheinung.

Smith: Ich war einfach ich selbst. Ich habe nie über Beschränkungen nachgedacht. Ich meine, von denen gab es damals eine Menge. Aber weil ich nicht Ruhm und Ehre gesucht habe, weil ich kein Pop-Star war, habe ich mich nicht darum gekümmert, ob ich einen Hit hatte. Ich erwartete nicht, kommerziell erfolgreich zu sein, und war es auch nicht. Ich wollte einfach etwas Gutes abliefern.
Ein Gedicht für Dresden
Baum: Können Sie uns ein wenig mehr verraten, wie der Abend des 17. Juli in der Jungen Garde aussehen wird?

Smith: Also, einerseits bin ich mit sehr guten, sehr flexiblen Musikern unterwegs: Da ist Tony Shanahan am Klavier und am Bass, mit ihm arbeite ich seit 1995 zusammen, der Engländer Sebastien Rochford an Drums, und mein Sohn Jackson ist ein sehr guter Gitarrist. So kann ich viele Songs singen, die ich ich normalerweise nicht singen würde. Wir werden auch Jacksons Arbeit hervorheben, weil er wirklich herausragend ist. Andererseits überlege ich mir bei jedem Ort, an dem wir auftreten, was das Besondere daran ist. Also: Was weiß ich von Dresden? Was ist meine Beziehung zu Dresden? Welche Songs lassen mich an Dresden denken? Ich habe bereits ein Gedicht für Dresden geschrieben, das werde ich einarbeiten.

Baum: Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Dresden denken?

Smith: In meinen Augen ist Dresden ein Symbol für das, was Menschen wiederaufbauen können. Die Geschichte der Stadt ist herzzerreißend, aber sie zeigt auch die Resilienz und Hartnäckigkeit von Menschen, die so viel in Kauf genommen haben, um ihre Geschichte und etwas ihres kulturellen Erbes wiederaufzubauen. Wie sie die Kathedrale (die Frauenkirche, B. Baum) wieder aufgebaut haben, Stein für Stein, das hat mich tief berührt.

Baum: Werden Sie Zeit in Dresden haben, um sich etwas anzuschauen?

Smith: Auf jeden Fall. Ich habe einen Tag dafür eingeplant. Ich gehe immer zu dem Ort, an dem der Alchemist eingesperrt war, um dabei zu helfen, Porzellan herzustellen. Ich schaue mir gern sein Werkzeug an, in Meißen. Und dann werde ich sehen, welche Orte ich noch besuche.
Patti Smith, Junge Garde, Dresden, 17.7.2025, Foto: Anja Schneider
Baum: Sie haben in den vergangenen Jahren auch immer wieder mit Büchern von sich reden gemacht. Just Kids über ihre Freundschaft mit Robert Mapplethorpe und Ihre Anfänge in New York, ist ein sehr berührendes Stück Literatur, für das Sie zu Recht viele Preise erhalten haben. Nun, im Herbst, kommt ein neues Buch heraus: Breath of the Angels. Worum geht es da?

Smith: Es kommt am 4. November heraus, an Robert Mapplethorpes Geburtstag. Das ist allerdings Zufall. Es ist eine Autobiografie; ich denke, man könnte es eine Schwester von Just Kids nennen. Der Fokus liegt auf meinem Leben, der Kreativität, was es bedeutet, eine Künstlerin zu sein, aber auch meiner Kindheit. Ich habe ein paar Jahre daran gearbeitet.
Ein neues Album?
Baum: Wird es auch wieder ein neues Album geben?

Smith: Ich weiß es nicht, ich war und bin sehr auf das Schreiben fokussiert. Ich habe darüber nachgedacht, aber Ende nächsten Jahres werde ich 80 sein und wir leben jetzt in einer ganz anderen Welt, was die Musik angeht. Die Leute streamen ihre Musik – und die Idee eines Albums ist ja eine ganz andere. Aber ja, ich habe neue Songs. Songs, die ich mit Tony Shanahan, und auch solche, die ich allein geschrieben habe. Ich werde das nächstes Jahr entscheiden.
Patti Smith, Junge Garde, Dresden, 17.7.2025, Foto Anja Schneider
Baum: Ich denke, für viele Menschen wäre ein neues Album von Ihnen eine große Sache. Aber wir können dieses Gespräch nicht beenden, ohne auf den Zustand der Welt zu sprechen zu kommen. Ein Song, den Sie zusammen mit Ihrem verstorbenen Mann Fred »Sonic« Smith geschrieben haben, ist People Have the Power. Er wurde zu einer Hymne für viele demokratische Bewegungen. In dieser Zeit ist es allerdings zunehmend schwer, noch an die Botschaft zu glauben.

Smith: Ja, ich weiß. Ich fühle diesen Schmerz auch. Ich fühlte das Gleiche, als wir in den Irak einmarschierten. Damals protestierten hunderttausende von uns, Millionen weltweit. Jetzt protestieren Millionen gegen das Vorgehen gegen die Palästinenser, und was passiert, ist sehr demoralisierend. Aber wir dürfen nicht aufgeben. Nein, wir dürfen keinesfalls aufgeben! Was wir tun müssen, ist Gandhis Methode zu folgen, mehr und mehr Menschen auf die Straße zu holen. Wir müssen die Maßnahmen zum Schutz unserer Demokratie verstärken, wir müssen einander und andere Menschen schützen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, wir müssen einfach nur dieses und jenes tun. Ich glaube, es wird ein schrecklicher Kampf. Und ich weiß nicht, wie er ausgehen wird. Mir wird jedes Mal schlecht, wenn ich die Nachrichten lese. Aber: Ich bin verantwortlich für meine Arbeit, für meine Kinder und für alles, was mir gegeben wurde. Und so versuche ich einfach, auf meine Gesundheit zu achten und Menschen zu helfen, wenn ich es kann, und meine Arbeit zu machen. Weil wir diesen Kräften nicht erlauben dürfen, uns zu schlagen. Ich werde mich nicht Krankheit und Depression ergeben wegen der Dinge, die unkluge Regierungsmitarbeiter tun. Und mein Rat an alle Menschen ist: Haltet zusammen! Haltet euch an gute Menschen! Unterstützt gute Menschen! Unterstützt und schützt Kinder! Schützt unsere Umwelt! Ich weiß, es wird immer härter. Aber wir dürfen nicht aufgeben! People Have the Power werden wir auf jeden Fall spielen.

Baum: Das ist ein großartiges Schlusswort. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

Smith: Ich danke Ihnen.










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