Dieser Artikel erschien im vergangenen Herbst in der Rhein-Neckar-Zeitung. Als kleines Dankeschön für treue Leser:innen meines Blogs ist er hier jetzt komplett umsonst zu lesen. Ich habe den ursprünglichen Einstieg belassen; wenn alles nach Plan verlaufen ist, gibt es nun also einen schönen, freien Blick auf den wunderschönen Tea-Room.
Prachtbauten im schottischen Glasgow
Typischer Fall von »dumm gelaufen«: Die Sauchiehall Street im Herzen Glasgows wird grundlegend umgestaltet und ist eine einzige, langgezogene Baustelle. Mitte nächsten Jahres wird es dort bestimmt wunderbar aussehen, bis dahin ist jedoch der Blick auf die Fassade des Tearooms »Mackintosh at the Willow« arg einschränkt. Aber gut, da die Raumgestaltungen des weltberühmten Architekten Charles Rennie Mackintosh ohnehin der interessanteste Teil seiner Arbeit sind, entschädigt ein Besuch des Cafés für den blockierten Blick auf die Fassade. Von den unglaublich leckeren Kuchen, den Scones und den Sandwiches gar nicht zu reden …


Der 1868 in Glasgow geborene Mackintosh entwickelte als Vertreter des Art Nouveau seinen ganz eigenen Stil – da gibt es Pflanzenmotive,verschnörkelte Linien, aber die klare Formgebung überwiegt. Wie alle Avantgardisten erfuhr er reichlich Gegenwind, aber er fand auch Förderer. Eine Förderin, vor allem. Die erfolgreiche Unternehmerin Catherine Cranston beauftragte ihn mit der Gestaltung von Cafés, wobei sie ihm in allen Einzelheiten freie Hand ließ. »Mackintosh at the Willow« ist heute das einzige originalerhaltene, liebevoll restaurierte Gebäude, in dem sich auch ein kleines Museum befindet. Wer dort auf einen »Afternoon Tea« einkehrt, sollte viel Appetit mitbringen – und wird sofort erkennen, worüber Cranston und Mackintosh laut Stadtführerin Louise Duncan ihren einzigen Streit führten: Sie hatte bereits Porzellan angeschafft, hübsches blau-weißes Geschirr der englischen Marke Burleigh – das so gar nicht in die Räumlichkeiten passte. Dieses eine Mal jedoch setzte die Gönnerin sich durch, und da in dem 2018 von Grund auf sanierten Gebäude auf Detailtreue Wert gelegt wird, ist das Service nach wie vor präsent.
Zwei Brände in der SChool of Art
Die nur gut 500 Meter von dem Café entfernte Glasgow School of Art gilt als Mackintoshs herausragendste Arbeit. Nachdem in dem Gebäude gleich zweimal Feuer ausbrach, steht die Rekonstruktion und Wiedereröffnung leider in den Sternen. »Der zweite Brand passierte zu Beginn der Covid-Lockdowns«, berichtet Stadtführerin Duncan, »und es wurden zu wenig Maßnahmen ergriffen, um danach die Bausubstanz zu schützen.«

Aber auch ohne die School of Art gibt es genügend architektonische und gestalterische Prachtstücke des Meisters – und seiner Frau Margaret, mit der er stets zusammenarbeitete – zu besichtigen: Von einer eigenen Mackintosh-Abteilung sowohl im Kelvingrove als auch im Huntarian Museum über zwei Verlagsgebäude bis zum Hill House in Helensburgh außerhalb der Stadtgrenzen, wo er bei einem Privathaus nochmals absolut freie Hand bei der Gestaltung hatte und jede Kleinigkeit seine Formsprache wiedergibt.

Und die ehemals reiche, größte Stadt Schottlands ist auch abseits der Mackintosh-Werke ein Mekka für Architektur-Fans. Ein Besuch der gotischen Kathedrale – des ältesten Gebäudes Glasgows – ist ein Muss, und in der gesamten Innenstadt sieht man herrliche Gebäude vor allem aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. So gibt es auf der Shoppingmeile Buchanan Street nah beieinander die beeindruckenden Fassaden des Princes Square und der Argyll Chambers: Erstere führt in eine Mall, die in Form und Gestaltung an Glasgows Geschichte als Zentrum des Schiffsbaus erinnert, letztere in eine der ersten Einkaufspassagen Europas, in der bis heute die Atmosphäre dezenter Eleganz herrscht.

Beim Bummel durch das Zentrum der alten Handelsstadt, der Merchant City, stößt man am George Square auf das Gebäude der City Chambers, das bereits von außen einem Schloss ähnelt und von innen voller Marmor, Mosaikkuppeln und Prachtaufgängen ist. Der 1888 fertiggestellte viktorianische Bau dürfte einer derjenigen gewesen sein, gegen die Mackintosh sich mit seiner Arbeit positionierte. Viel mehr jedenfalls als gegen das bereits fünf Jahre früher eröffnete Grand Central Hotel, das bei aller Pracht deutlich schlichter angelegt ist. Dieses Gebäude ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Bahnhofshotels in Großbritannien in jener Zeit aussahen. Mit dem, was Deutsche sich bei dem Wort vorstellen, hatten und haben sie nicht das Geringste zu tun, im Gegenteil: Errichtet als Visitenkarten der konkurrierenden Eisenbahngesellschaften, waren sie darauf bedacht, den Reisenden nach ihrer Ankunft Komfort und Luxus zu bieten.

Was man im Grand Central bis heute spürt. Allein der Treppenaufgang mit dem alle fünf Stockwerke hinabführenden, an Mackintosh erinnernden Kronleuchter ist ein Augenschmaus. Und die Bar »Champagne Central« mit ihrem Blick in die Bahnhofshalle ist ein wahrer Magnet für Hotelgäste, andere Touristen und Glasgower. »Wir gönnen uns hier immer noch einen Prosecco, wenn wir zusammen shoppen waren«, sagt Emma McAlastir, die mit ihren Freundinnen Amy und Hannah Plätze direkt an Scheibe ergattert hat. Kennen sie auch die Geschichten, die sich um das Grand Central ranken? »Oh ja«, lacht Hannah. »Der Westernheld Roy Rogers hat versucht, sein Pferd in den Aufzug zu führen, war es nicht so?«

Das hätte Miss Cranston bei ihren Tearooms bestimmt nicht gutgeheißen, aber vielleicht hätte es Charles Rennie Mackintoshs Sinn für Humor getroffen.
Informationen
Anreise: Glasgow wird von Easyjet und Lufthansa angesteuert, Tickets kosten etwa 300 € hin- und zurück. Vom Flughafen aus fährt ein Airport Express-Bus in die Innenstadt.
Übernachten: Im Grand Central Hotel bekommt man Doppelzimmer mit Frühstück ab 130 € https://grandcentral.vocohotels.com/ . Günstigere (ebenfalls zentrale) Zimmer gibt es bei Motel One (ab 80 €) https://www.motel-one.com/de/hotels/glasgow/
Mackintosh-Führungen: Von Mai bis Oktober starten jeden Samstag um 10 Uhr geführte Spaziergänge durch Glasgow am Clutha Pub im East End. (18 £) https://www.visitscotland.com/info/tours/charles-rennie-mackintosh-walking-tours-c218ade6
Mackintosh-Ausflug: Hill House, Upper Colquhoun Street Helensburgh (regelmäßige S-Bahn-Verbindung ab Glasgow Central Station), 3.1.-21.12. täglich 10 – 17 Uhr. (14 £) https://www.nts.org.uk/visit/places/the-hill-house
Essen und Trinken: Mackintosh at the Willow (nicht nur Kuchen, sondern auch Suppen, etc.), 215-217 Sauchiehall Street https://www.mackintoshatthewillow.com/ ; Champagne Central (klassische Bar mit hervorragenden Cocktails), 99 Gordon Street https://www.champagnecentral.co.uk/
Weitere Infos: https://www.visitscotland.com/places-to-go/glasgow
Transparenzhinweis: Der Aufenthalt in Glasgow wurde von Visit Scotland, Visit Glasgow und dem Grand Central Hotel unterstützt.