Nordengland als Hauptindustriegebiet Großbritanniens war stets eine Hochburg der Arbeiterbewegung. Logisch: Wo in den Fabriken für wenig Geld rund um die Uhr geschuftet wurde, erwuchs der Widerstand. Wobei es im Unterschied zu Manchester mit seiner Textilproduktion in Liverpool vor allem die Hafenarbeiter waren, die harte und gefährliche Arbeit leisteten und dafür nicht annähernd gut genug bezahlt wurden.
Kampf gegen die hexe
Mit dem Niedergang der Industrie und der entsprechend geringer werdenden Bedeutung der Liverpooler Docks ging es den Menschen noch schlechter. Dann kam Maggie Thatcher. Sie erklärte Nordengland mit seinen Problemen – wozu sie auch die starken Gewerkschaften zählte – zum Feind. Und die Menschen nahmen die Kriegserklärung an. Nirgendwo begegnete die Eiserne Lady ähnlichem Widerstand wie in den Großstädten des Nordens. Nach Thatchers Tod wurde gefeiert: »The Witch is Dead« stand auf den Plakaten.
Wir wollen hier keinesfalls die Wahlergebnisse für Rechtsaußen-Parteien beschönigen, auch nicht die Tatsache, dass zumindest außerhalb der Metropolen viele Menschen sich einreden ließen, mit einem Brexit wären ihre Probleme gelöst. Aber: Bis heute herrscht eine grundsätzliche Widerstandsstimmung gegen die Tories, für die der Norden nach wie vor eine Terra incognita ist.
Der Widerstand beschränkt sich nicht auf die Partei Thatchers, Johnsons, etc. In Liverpool wird seit 1989 das schlimmste Boulevard-Blatt der Insel, Rupert Murdochs Sun, boykottiert. Als es die kleinen News-Stands noch gab (hach!), fanden sich dort Blätter jeglicher Couleur, wir hatten sogar einen Laden im Uni-Viertel, wo wir Samstags die Süddeutsche bekamen. Die Sun lag jedoch nirgendwo aus.
Das Hillsborough-Disaster
Murdochs Hetztruppe war einen Schritt zu weit gegangen: Vier Tage nach dem Desaster im Hillsborough-Fußballstadion, bei dem 96 Zuschauer starben, erschien ein Artikel mit der Überschrift »The Truth«: Während die Aufklärung noch lief (allerdings brauchten auch die Behörden 27 Jahre und eine gegen Widerstände eingesetzte Untersuchungskommission, um die Wahrheit ans Licht zu bringen: dass Ordnungskräfte und Organisatoren des Spiels Schuld an der Tragödie gewesen waren und eben nicht nicht die Fußballfans. Außerdem hatten Polizisten Aussagen unterschlagen bzw. gefälscht), wurde in dem Blatt behauptet, Liverpool-Fans hätten Rettungsversuche der Polizei behindert, Betroffene beraubt und sogar auf Opfer uriniert.
Don’t Buy the Sun
»Don’t buy the Sun« lautete daraufhin der Slogan, der in der Stadt fast flächendeckend befolgt wurde. Zumal die Meinungsmacher Murdochs auch noch ungeschickt agierten: Erst 15 Jahre nach der Tragödie rang man sich zu einer Entschuldigung durch. Da jedoch der verantwortliche Chefredakteur Kelvin MacKenzie weiterhin sagte: »Ich habe es damals nicht bereut und bereue es bis heute nicht«, wusste man, was man von dieser »Entschuldigung« zu halten hatte und hält bis heute gesunden Abstand zu dem Drecksblatt. Und damit das nicht vergessen wird, tauchen immer mal wieder Banner auf, die daran erinnern. »Never Forget«, lautet dauerhaft die Aufforderung im Pub Ye Cracke (Siehe den Post hier), und gemeint ist nicht nur das Andenken an die Toten.
2 Antworten zu “Widerständiges Liverpool”
Mir fällt da hier auch ein Blatt ein. Aber der Aufruf wäre wahrscheinlich folgenlos. Und wenn ein stellvertretende Chefredakteur von besagtem Blatt zu einem an sich guten Nachrichtenmagazin wechseln kann, also schlicht toleriert wird was, er einst vertrat, dann weiß ich ja nicht. Nein, es war nicht derselbe Verlag.
Ja, dieses Blatt verabscheue ich auch. Aber gegen die Sun ist es so etwas wie die FAZ…
Aber ja, dass solch ein Boykott-Aufruf wirklich befolgt wird, über Jahrzehnte hinweg, das ist schon echt was Besonderes.